Wie ETH-Wissen und lokales Know-how zum Wiederaufbau der Ukraine beitragen

Vor zwei Jahren begann der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Eine direkte Kriegsfolge ist die Zerst?rung von Geb?uden und Infrastruktur. Die Ausstellung ?ETH with Ukraine? im ETH-Hauptgeb?ude zeigt nun, wie sich Geb?ude, Anlagen und Umwelt in der Ukraine sch¨¹tzen oder wiederherstellen lassen.

von Florian Meyer
(Aktualisiert: )
Ein Satellitenbild zeigt Trümmerfelder im Stabild von Mariupol in der Ukraine.
ETH-Forschende haben mit K¨¹nstlicher Intelligenz ein Satellitenbild ausgewertet. Dadurch werden die Tr¨¹mmerfelder im Stadtbild von Mariupol deutlich ersichtlich. In der Mitte befindet sich das wochenlang belagerte Asow-Stahlwerk. (Bild: Google Imagery / Olivier Dietrich, Photogrammetry and Remote Sensing Group, ETH Zurich)

In K¨¹rze

  • Bis 5. Februar 2024 befindet sich die Ausstellung ?ETH with Ukraine¡ªExchanging Knowledge for a Sustainable and Resilient Future? im ETH-Hauptgeb?ude.
  • Die Ausstellung zeigt sowohl Forschungsprojekte, mit denen sich der Kriegsverlauf und die Infrastrukturzerst?rung nachverfolgen lassen, als auch konzeptionelle und praktische Wiederaufbauprojekte.
  • Mit der Ausstellung wollen ETH-Foschende und das ?Swiss Network with Ukraine? zum Erfahrungstausch beitragen, wie die Schweiz die Ukraine beim Wiederaufbau unterst¨¹tzen kann.

Nicht nur das menschliche Leid, das der Krieg verursacht, ist unermesslich, auch die Zerst?rung von Bauten, Anlagen und Infrastruktur ist immens. Vorsichtige Sch?tzungen gehen davon aus, dass die Wiederherstellung der zerst?rten Wohnh?user, ?ffentlichen Geb?ude, Industriebauten, Energienetze, Strassen, Infrastrukturen sowie Wald- und Agrarfl?chen um die 400 Milliarden Dollar kosten d¨¹rfte. ?Das Ausmass der Infrastrukturzerst?rung in der Ukraine kann man sich in der Schweiz fast nicht vorstellen?, sagt Jonathan Banz. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Andreas Wieser, Professor f¨¹r Geosensorik und Ingenieurgeod?sie, ?darum wollten wir die Zerst?rung ebenso sichtbar machen wie laufende Projekte zur Erhaltung und zum Wiederaufbau der Infrastruktur.?

Fernerkundung liefert Fakten zu Zerst?rung und Aufbau

Mit Basil Roth betreut Jonathan Banz das ETH-Forschungsprojekt ?Mapping Ukraine? (deutsch: ?Kartierung der Ukraine?). Dieses zielt darauf ab, die Folgen des Krieges auf die Infrastruktur und die Umwelt in der Ukraine ¨C mittels Geoinformation, Fotos, Videos ¨C zu dokumentieren und eine Grundlage f¨¹r den Wiederaufbau zu schaffen. Das Ziel ist eine intuitiv bedienbare, digitale Plattform, die unabh?ngige Informationen ¨¹ber den Zustand der ukrainischen Infrastruktur bereitstellt.

Basil Roth und Jonathan Banz sind nicht die einzigen ETH-Forschenden, die sich mit den Kriegsfolgen auf die ukrainische Infrastruktur befassen. In der Gruppe von Konrad Schindler, Professor f¨¹r Photogrammetrie und Fernerkundung, etwa setzt Olivier Dietrich k¨¹nstliche Intelligenz ein, um Satellitenbilder auszuwerten. Aus einem eher unscharfen Satellitenbild, das die Stadt Mariupol rund um das wochenlang belagerte Asow Stahlwerk zeigt, geht so eine Karte hervor, die die Tr¨¹mmerfelder im Stadtbild von Mariupol deutlich zeigt. Olivier Dietrichs Forschung schliesst direkt an ?Mapping Ukraine? an und ist zugleich Teil der Initiative ?externe SeiteEngineering for Humanitarian Action? mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz.

Studierende, Forschende und Professor:innen der ETH Z¨¹rich setzen ihr Fachwissen f¨¹r den Wiederaufbau der Ukraine ein. Viele von ihnen engagieren sich im Netzwerk ?externe SeiteSwiss Network with Ukraine?, das unter anderem der emeritierte ETH-Architekturprofessor und St?dteplaner Kees Christiaanse gegr¨¹ndet hat. Um die laufenden Projekte vorzustellen, haben nun ETH-Forschende der ETH-Ó¢»ÊÓéÀÖ Architektur sowie Bau, Umwelt und Geomatik zusammen mit dem Netzwerk und dem ?externe SeiteUkrainischen Verein der Studierenden und Akademiker/-innen in Z¨¹rich? die Ausstellung ?ETH with Ukraine¡ªExchanging Knowledge for a Sustainable and Resilient Future? organisiert.

Ein Schaufenster f¨¹r Forschung und lokale Projekte

Gut zwei Jahre nach Kriegsbeginn wurde die Ausstellung am Mittwochabend in der Haupthalle des ETH-Hauptgeb?ude er?ffnet. Sie thematisiert verschiedene Aspekte des Wiederaufbaus wie Wohnen, Renovierung und Baumaterialien, Landwirtschaft und Energie, Stadtentwicklung und Raumplanung sowie Bildung und Kultur. Die Ausstellung beschr?nkt sich nicht auf Forschungsprojekte, sondern stellt ebenso Freiwilligen-Initiativen vor, die sich bereits heute dem Schutz und Wiederaufbau von Bauten in der Ukraine widmen.

Die Ausstellung will zum Erfahrungstausch anregen, wie die konzeptionellen und technologischen ?berlegungen aus der Schweiz zusammen mit konkreten Massnahmen vor Ort die Erhaltung und Reparatur von Siedlungen und Anlagen in der Ukraine unterst¨¹tzen k?nnen. Darin waren sich an der Er?ffnung die ETH-Professoren Matthias Kohler, Brian Adey, Kees Christiaanse und Andreas Wieser einig. Dementsprechend war auch das f¨¹nfk?pfige Ausstellungs-Kuratorium gemischt: Neben Basil Roth und Jonathan Banz wirkten die Architektin Gyler Mydyti und Adam Przywara vom ?Swiss Network with Ukraine? mit sowie die Ukrainerin Anastasiya Ponomaryova, die zuletzt in der Gruppe f¨¹r Geschichte und Theorie der Architektur von Philip Ursprung angestellt war.

Kontaminierte B?den sanieren, Geburtenklinik sch¨¹tzen

Ein Bereich, in dem lokale und internationale Initiativen gefragt sind, ist die Landwirtschaft. Schliesslich sind gesch?tzt ¨¹ber 4700 Quadratkilometer Ackerland kontaminiert. An der Ausstellung zeigen die Umweltwissenschaftlerin Vira Ohorodnyk, die ?kologin Olena Melnyk und die Agrar?konomin Maryna Nehrey, mit welchen ?kologischen und politischen Massnahmen sich Agrarfl?chen wiederherstellen und Landwirtschaftsgebiete wiederbeleben lassen. Alle drei sind aus der Ukraine geflohen und arbeiten derzeit an der ETH.

Olena Melnyk untersuchte an 89 Bombenkratern, wie sehr die Bombardierungen die Ackerb?den mit Schwermetallen und Umweltgiften kontaminiert haben. Ihre Erkenntnisse werden nun aufgegriffen: An der Berner Fachhochschule entwickelt eine Gruppe von Ukrainer:innen im Rahmen des externe SeiteCAS Wiederaufbau Ukraine Strategien, wie sich die B?den sanieren und wieder so kultivieren lassen, dass die Gesundheit der Menschen gesichert ist, erkl?rt das Projektmitglied Yevgen Getman gegen¨¹ber ?ETH-News?. Eine andere ukrainische CAS-Teilnehmerin, Kateryna Vynogradova, schildert, wie die Geburtenklinik in Dnipro baulich so verst?rkt wird, dass der Operationssaal und die Notaufnahme bei Bombardierungen gesch¨¹tzt sind.

Die ?konomin Iryna Doronina, die als Senior Researcher am ETH-Institut f¨¹r Wissenschaft, Technologie und Politik ISPT t?tig ist, untersucht die Auswirkungen des Krieges auf das Energiesystem der Ukraine. Ihre Forschung hat ergeben, dass im ersten Jahr des Krieges mehr als 255 Raketen die Energieinfrastruktur trafen und rund 70 Prozent der Energie-Anlagen und 50 Prozent des ?bertragungsnetzes entweder vollst?ndig oder zeitweise besch?digt wurden. Infolgedessen kam es in ganzen Regionen, einschliesslich der Hauptstadt, zu Stromausf?llen, die bis zu acht Stunden pro Tag dauerten. Gem?ss Doroninas Forschung fand der russische Angriff genau zu dem Zeitpunkt statt, als das ukrainische Stromnetz unabh?ngig von den benachbarten Netzen funktionierte und die Ukraine in der Lage war, das Land eigenst?ndig mit Strom zu versorgen. Sie untersucht auch das Potenzial erneuerbarer gr¨¹ner Energien f¨¹r eine k¨¹nftige kohlenstoffarme, dezentralisierte und konfliktresistente Strominfrastruktur in der Ukraine.

Von der Notunterkunft zu leicht baubaren Wohnh?usern

Mehrere Initiativen fokussieren auf das Wohnen, da der Krieg bereits weit ¨¹ber 150¡¯000 Wohnh?user zerst?rte und rund 12 Mio. Ukrainer:innen ihre H?user verlassen mussten. Eine Initiative f¨¹r leicht erstellbare Holzh?user stammt vom Schweizer Fenster- und Fassaden-Bauer Martin Huber. Er f¨¹hrte schon vor dem Krieg ein Unternehmen in der Ukraine. Unter seiner Leitung wurde in der Schweiz ein dreiteiliges Kleinhaus aus Holz entwickelt, das Bad/K¨¹che, Stube und Schlafzimmer f¨¹r vier Personen umfasst. In der Ukraine ist es bislang 89-mal gebaut worden. Dank guter W?rmed?mmung lassen sich auch Zeiten ¨¹berbr¨¹cken, in denen Strom oder Heizung ausfallen. In einer Kooperation von Mitgliedern des ?Swiss Network with Ukraine? wird nun dieser Ansatz weiterentwickelt, um ihn mit Mitteln der digitalen Fabrikation auf gr?ssere Mehrfamilienh?user zu ¨¹bertragen, wie Gyler Mydyti, Architektin und eine der Ausstellungskuratorinnen, erkl?rt.

Praktische Weiterverwendung von Baumaterial

In der Ausstellung steht das Modell des Holzhauses gleich neben einer reparierten Holzt¨¹r und einem h?lzernen Bettgestell. Diese Exponate kommen aus dem ukrainischen Projekt ?CO-HATY? (was auf Deutsch mit ?lieben? oder ?Haus-Zusammenarbeit? ¨¹bersetzt werden kann). Sie zeigen, wie Ukrainer:innen diverse Baumaterialien f¨¹r Wohnh?user wiederverwenden. Umgesetzt wird ?externe SeiteCO-HATY? von der ukrainischen NGO Metalab, der auch die ukrainische Architektin und Ausstellungskuratorin Anastasiya Ponomaryova angeh?rt. In der Westukraine hat Metalab sechs ehemalige sowjetische Ministerialgeb?ude zu Notunterk¨¹nften f¨¹r rund 1300 Fl¨¹chtlinge umgebaut und entwickelt nun weitere Ans?tze, um den Mangel an Wohnungen langfristig zu mildern. F¨¹r Gyler Mydyti ist ?CO-HATY? ein gutes Beispiel, dass Baufachpersonen in der Schweiz auch von den ukrainischen Ans?tzen lernen k?nnen, wie sich Baumaterialien wiederverwenden lassen.

Ebenfalls zur Wiederverwendung sammelt der schweizerische Verein ?externe SeiteRe-Win? Fenster f¨¹r die Ukraine ¨C zum Beispiel werden unter Beteiligung der Professur f¨¹r Kreislaufwirtschaft in der Architektur von Catherine de Wolf, die Fenster der Huber-Pavillons, die auf dem ETH-Ó¢»ÊÓéÀÖ H?nggerberg abgebrochen wurden, in der Ukraine weiterverwendet.

Ausstellung im ETH-Hauptgeb?ude

Die Ausstellung ?ETH with Ukraine¡ªExchanging Knowledge for a Sustainable and Resilient Future? befindet sich im ETH-Hauptgeb?ude.
Sie kann bis zum 5. Februar 2024 w?hrend der ?ffnungszeiten (Mo-So, 9.00 ¨C 20.00 Uhr) besucht werden.

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